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Gerade nach dem längerfristigen Ausfall von Benjamin Hübner ist der auch als „Eisen Ermin“ bekannte
Ermin Bicakcic aus der Defensive der TSG 1899 Hoffenheim kaum wegzudenken. Ein Grund, um mit dem
28-jährigen Defensivspieler, der bereits seit 2014 die Fußballschuhe für die Kraichgauer schnürt, ein
Interview zu führen. Hierbei erzählte der bosnische Nationalspieler über den aktuellen „Lauf“ in der Bundesliga, das Ausscheiden in der Champions League, wie er abschaltet und die gesteigerte Erwartungshaltung vonseiten der Fans und den Medien.
Fällt es schwer nach vielen Spielen innerhalb kurzer Zeit physisch und psychisch auf voller Höhe zu sein?
Ermin Bicakcic: Das spielt klar eine Rolle, aber damit muss man umgehen. Man muss immer auf den Spielverlauf achten. Wenn man hoch presst, wie wir es machen, dann hat man mitunter 60, 70 Meter, die
man auch wieder zurückrennen muss, wenn man es nicht richtig macht. Daher muss man immer voll da
sein, um auch den Fokus darauf zu legen, wie man das unterbinden kann und nicht die langen Wege hat.
Wie tief sitzt bei Ihnen die Enttäuschung über das Ausscheiden in der Champions League?
Bicakcic: Die Enttäuschung sitzt nach so einem Spiel wie gegen Donezk sehr tief. Für Außenstehende ist es
in der Situation immer leicht, wenn man sagt ‚das war gestern und heute ist das abgehakt‘, aber ich finde
das ist immer so leicht gesagt. Die Enttäuschung saß sehr tief - bei den anderen Spielern und gerade auch
bei mir. Das ist zwar im Kopf, aber es bleibt keine Zeit, über so etwas nachzudenken. Man muss damit
umgehen. Beim nächsten Spiel interessiert sich niemand mehr dafür, was war. Dann ist es wichtig, dass
man sich wieder hochzieht - gerade vom Mentalen her. Körperlich sind wir aber total fit!
Wie geht man nach einem solchen Spiel wieder in die nächste Aufgabe?
Bicakcic:Von Spieler zu Spieler ist das unterschiedlich. Ich versuche immer die einfachen Dinge einfach zu machen. Von der mentalen Seite ist es auch unterschiedlich. Da gibt es keinen Weg, bei dem man sagt, dass dieser für alle Spieler funktioniert. Zum Teil ist es auch die eigene Erfahrung, die man gemacht
und die funktioniert hat. Wenn du nur wenige Tage Zeit hast, ist es für mich wichtig dann auch komplett runterzufahren. Da in diesen Phasen für Training ohnehin
kaum Zeit bleibt, ist es wichtig, dass man abschaltet und dann aber auf den Punkt wieder voll da ist.
Wie bekommt man in der Phase den Kopf wieder frei?
Bicakcic: Ich will dann erst einmal nichts mit Fußball zutun haben. Ich mache dann alles andere. Zuletzt
habe ich zum Beispiel Zeit mit meiner Familie verbracht. Auch wenn mein Vater immer wieder mit
Fußball anfängt (lacht). Ich bin auch schon alleine durch den Wald gelaufen, habe mein Handy weggelegt
und solche Sachen. Das hilft mir dann abzuschalten.
Vergisst man manchmal, dass in den Trikots auch nur Menschen stecken?
Bicakcic: Das stimmt. Ich will zwar nicht sagen, dass die Leute mit dem Finger auf dich zeigen, aber
Fakt ist: du bist auf einer großen Bühne. Klar sehen die Leute dann eine Mannschaft wie Donezk, du
verlierst das Spiel, bist enttäuscht und gerade unsere Fans sind dann natürlich auch enttäuscht. Sei es medial, von den Fans oder den Zuschauern allgemein, es lastet klar eine Erwartungshaltung auf einem.
Oft ist es so, dass die Leute - sei es medial oder auch die Zuschauer - auch sehr hart mit einem ins
Gericht gehen, wobei man aber auch die Umstände sehen muss, dass man mit Hoffenheim nicht jedes
Jahr Champions League spielen kann. Bayern München ist jedes Jahr dabei, die kennen die Abläufe.
Wir als Neuling hingegen kennen diese allerdings nicht, dann ist es manchmal hart, wie mit manchen Spielern ins Gericht gegangen wird. Natürlich muss man niemanden „tätscheln“. Klar ist es scheiße
wenn du verlierst, aber ein Gefühl für die Situation, die Menschlichkeit, die müssen einfach da sein.
Von außerhalb betrachtet ist das aber auch nicht einfach. Unsere Fans sind ja auch voll dabei und wollen gewinnen, aber das ist ja klar, wir ja auch! Manchmal ist es aber nicht so einfach, wie man sich das
vorstellt. Deshalb sollte man dort auch etwas Spielraum lassen und eben nicht zu hart ins Gericht gehen.
Wie hilfreich ist es, dass die Serie aus sechs ungeschlagenen Bundesligaspielen zu Buche steht?
Bicakcic: Dass wir seit sechs Bundesligaspielen ungeschlagen sind, das sind solche Dinge, die uns
helfen um uns mental wieder hochzuziehen. Jetzt ist es gut, dass wir mal eine komplette Woche ohne
Spiel haben. Vor Weihnachten geht es dann wieder nur mit englischen Wochen weiter. Wir sind ja auch
keine Maschinen.
Was haben Sie aus den fünf Champions-League-Spielen mitnehmen können? Gab es eine Aktion, die Sie persönlich oder spielerisch etwas hat dazulernen
lassen?
Bicakcic: Champions League ist eine eigene Sache - ich meine es ist eine große Sache für uns und nicht alltäglich in Hoffenheim. Das ist ein Stück weit ein anderes Paar Schuhe. Grundsätzlich ist es jedes Spiel - ich bin jetzt auch schon 28 - das dazu beiträgt, dass man sich verbessert. Aus jedem Spiel nimmt man etwas mit, sei
es, wie man in die Spiele geht oder auch wie man an eine Situation herangeht. Das alles lässt einen Spieler reifen. Dass man Fehler macht, aber auch aus diesen Fehlern lernt und am Ende dann auch an sich selbst glaubt. Egal ob eine Niederlage oder ein persönlicher Rückschlag das alles sind Erfahrungswerte, bei denen
am Ende jeder seinen Weg finden muss. Ich kann anderen Spielern zwar Tipps geben, doch jeder muss für sich den richten Weg finden. Dabei kann ich aber niemandem sagen: mache das so, denn so mache ich es. Gerade jüngeren Spielern kann ich einen Tipp geben, doch schlussendlich muss jeder seinen Weg
im Fußballgeschäft gehen. Teilweise ist das ja auch fernab der Realität. Jeder muss sich selbst treu bleiben, dann entwickelst du dich!
Wie sehr überrascht Sie dann Reiss Nelson?
Bicakcic: Bei Reiss sieht man einfach die Unbekümmertheit. Er kommt auf den Platz, weiß um seine Stärken und setzt diese einfach gut ein. Es gibt manche Spieler
bei denen man sagt sie wären zu verspielt, aber ich denke gerade solchen Spielern muss man einfach helfen ihren Weg zu finden, aber man muss sie auch einfach mal machen lassen. Die müssen auch einmal ihre Fehler machen, das ist ein Prozess, der auch sehr wichtig ist. Gerade diese Unbekümmertheit ist meiner
Meinung nach heutzutage viel weniger geworden. Reiss bekommt den Ball und geht ins Eins gegen Eins. Solche Aktionen sieht man inzwischen viel weniger.
Oft denkt man zu viel darüber nach wie man jetzt richtig verschieben muss - einfach mal machen lassen. Solche Jungs muss man einfach machen lassen und nicht einen Zettel geben, wie sie das machen müssen. Man muss ihm gewisse Freiheiten lassen. Sowohl auf, als auch außerhalb des Platzes. Lass ihn mal einen Fehler machen. Nur so kann sich auch ein junger Spieler weiterentwickeln. Auch er ist keine Maschine, bei der man einmal ein Rädchen dreht. Er muss aber dranbleiben.
Im Fußball geht es zwar schnell nach oben, aber auch schnell wieder nach unten.